NIKI DE SAINT PHALLE

Niki de Saint Phalle, Luzern, 1969, Kunsthaus Zürich, Foto © Nachlass Leonardo Bezzola, Werk © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris

Niki de Saint Phalle: eine der populärsten Künstlerinnen ihrer Generation

Die Nanas, ihre bunten, großformatigen Frauenfiguren, haben sie international berühmt gemacht und gelten bis heute als ihr Markenzeichen. Doch ihr künstlerisches Werk ist sehr viel facettenreicher, subversiver und gesellschaftskritischer. Niki de Saint Phalle nahm sich stets sozialer und politischer Themen an, hinterfragte immer wieder Institutionen, traditionelle Rollenbilder und verarbeitete in ihrem Werk öffentliche Diskurse, die bis heute ihre Relevanz behalten haben.

Niki war als eine der wenigen Frauen in der männlich geprägten Avantgarde der 1960er Jahre aktiv. Sie widersetzte sich dem Image des männlichen Künstlers als Genie und förderte den kollektiven Prozess der Entstehung eines Werks, indem sie die Betrachter und Betrachterinnen in ihre Arbeit einbezieht. Die Ausstellung der SCHIRN Kunsthalle zeigt ihr breites Schaffen in Malerei, Zeichnung, Assemblage, Performances, Installationen, Skulpturen und Happenings. Die Ausstellung setzt einen besonderen Fokus auf ihre Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und kunsthistorischen Konventionen.


Wer war Niki de Saint Phalle?

Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle wird am 29. Oktober 1930 in Neuilly-sur-Seine, ein westlicher Vorort von Paris und eines der wohlhabendsten Viertel, geboren. Niki ist das zweite von insgesamt fünf Kindern der Amerikanerin Jeanne Jacqueline (geb. Harper) und des französischen Aristokraten André Marie Fal de Saint Phalle. Niki ist der Spitzname, den ihre Mutter ihr im Alter von vier Jahren gibt.

Nikis Vater verliert als Bankier und Börsenmakler sein Vermögen in der Weltwirtschaftskrise 1929. Niki wächst zunächst bei ihren Großeltern auf deren Anwesen in Südfrankreich auf, da ihre Mutter ihren Mann nach New York begleitet. Kurz vor ihrer Einschulung siedelt Niki zu ihren Eltern nach New York um und besucht dort die Klosterschule Sacré-Cœur. Die Familie kann ihr Vermögen in den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise zurückerlangen und Niki lebt in gutbürgerlichen Verhältnissen in der Upper East Side in New York.

Als Tochter einer Adelsfamilie ist für Niki vorgesehen, das traditionelle Rollenbild und die Erwartungen ihrer Eltern und Familie zu erfüllen: heiraten, Kinder gebären und als Frau im Schatten der männlichen Familienmitglieder zu leben. Das Verhältnis zu ihrer Herkunftsfamilie ist prägend für Nikis späteres Werk.

Als Teenager rebelliert Niki gegen ihre Familie, taucht immer wieder in das New Yorker Nachtleben ab und beginnt mit 18 Jahren als Modell zu arbeiten. Wenig später heiratet sie heimlich ihre Jugendliebe Harry Mathews. Niki entflieht ihrer Familie und verlässt mit Harry New York. Sie lassen sich in Paris nieder und bekommen zwei Kinder, Laura und Philip.

Doch Niki findet sich in der klassischen Frauenrolle wieder, die der ihrer Mutter so ähnlich ist und der sie eigentlich entfliehen wollte. Harrys Affäre mit einer anderen Frau ist der Auslöser für Nikis Zusammenbruch. Im Alter von 23 Jahren verbringt sie sechs Wochen in einer Psychiatrie und muss sich mit ihren lang unterdrückten Ängsten und Kindheitserinnerungen auseinandersetzen.

Niki de Saint Phalle, La Classe de ballet, 1953-1955, Öl und Tempera auf Leinwand, 80 x 99 cm, Albin Dahlström / Moderna Museet / Schenkung 2005 von Pontus Hultén, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris

In der Psychiatrie beginnt sie zu malen und entdeckt die Kunst als ihre Ausdrucksform. Sie fertigt erste Assemblagen an, deren Themen, Motive und Titel zeigen, dass sie ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten versucht. Es sind diese Wochen in der Klinik, die ihr Leben verändern und in denen sie entschließt, Künstlerin zu werden. Sie spricht immer wieder davon, dass sie „eine zornige junge Frau war“. Doch in Briefen schreibt Niki , dass die Kunst ihr das Leben gerettet hat. Das künstlerische Schaffen dient ihr als Ventil.

Niki des Saint Phalle ist Autodidaktin. Sie hat nie an einer Akademie studiert oder Unterricht genommen. Sie zeichnet und malt alles um sie herum. Liest und recherchiert über aktuelle Kunststile und Bewegungen in der Kunst. Dabei entwickelt sie ihre eigene visuelle Sprache und Bildwelten. Sie ist von der Verschmelzung von Kunst und Architektur fasziniert und zugleich von den Kunststilen der 1950er und 60er Jahre beeinflusst.


Destruktion und Kreation

Diesen Anzug lässt sich Niki de Saint Phalle für ihre Schießaktionen schneidern: weiß, tailliert, mit schwarzem Kragen und Bündchen. Dazu trägt sie schwarze Stiefel. So gekleidet tritt sie mit einem Gewehr bewaffnet vor ihre sogenannten „Schießbilder“.

Für diese Arbeiten präpariert sie Gipsreliefs, unter die sie mit Farbe gefüllte Beutel einbaut. Mit dem Gewehr schießt sie auf diese Beutel. Die Beutel platzen, die Farbe rinnt durch die Einschusslöcher über das Relief. Das Bild „blutet“.

Für Niki ein Akt der Befreiung. Sie streift die gesellschaftlichen Erwartungen als Frau ab und entscheidet sich für ein freies, selbst bestimmtes Leben. Das Schießen ist wie eine Bekräftigung dessen, die Aneignung einer aktiven, machtvollen Rolle. Mit jedem Schuss entlädt sich ihre große Wut auf das Establishment, auf die patriarchale Ordnung, auf eine einengende, verlogene Gesellschaft. Es geht ihr aber um mehr als das pure Ausleben von Aggressionen:

„Es war ein erstaunliches Gefühl, auf ein Bild zu schießen und zu sehen, wie es sich selbst in ein neues verwandelte. Es war aufregend und sexy, aber auch tragisch, weil wir Zeugen einer Geburt und eines Todes im selben Moment wurden. Es war ein mysteriöses Ereignis, das jeden, der schoss, völlig fesselte.“

Niki inszeniert die Schießaktionen als Happenings und fordert auch ihr Publikum auf, auf die Reliefs zu schießen. Mit diesen Happenings, die als Kunstform in den 1960er Jahren entsteht, erregt sie großes Aufsehen in der Kunst- und Medienwelt. Niki ist eine der wenigen Frauen, die sich dieser Kunstform bedient.

Nikis Schießanzug wird dabei zum Ritualgewand und ist zugleich Teil ihrer Provokation: eine schießende Frau in einem Overall, wie ihn nur Mechaniker, Kampfpiloten oder Rennfahrer tragen. Niki schlüpft damit in eine Rolle, die damals nur Männern vorbehalten war. Sie bricht mit gesellschaftlichen Erwartungen und lehnt sich gegen die Konventionen des Bürgertums auf.

Niki de Saint Phalle bei der 800-Jahr-Feier von Notre-Dame in Paris mit einer Schießaktion, 1963, Foto © Dalmas / SIPA, Werk © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris


Niki de Saint Phalle, King-Kong, 1962, Schießbild, Farbe, Gips und verschiedene Objekte auf Holz, 276 x 611 x 47 cm (in 5 Teilen), Albin Dahlström / Moderna Museet, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris


„Ich wollte, dass sie die Macht über die Welt übernehmen.“

In den 1960er Jahren entstehen Nikis erste Nanas: Skulpturen, die weibliche Figuren mit betont üppigen Formen zeigen. Anfangs waren sie aus Draht, Papiermaschee, Stoff und Wolle gefertigt.

Später arbeitet Niki an stabileren Konstruktionen mit dem stark lösungsmittelhaltigen Polyester. Der neue Werkstoff macht die Figuren wetterbeständig und robust, ist jedoch nicht ungefährlich. Durch das Einatmen des giftigen Materials bei der Herstellung zieht Niki sich einen Lungenabszess zu und muss immer wieder in ärztliche Behandlung.

Die Bezeichnung Nana ist ein vieldeutiger Begriff aus dem Französischen für eine moderne, selbstbewusste, erotische und verruchte Frau. Auf Deutsch würde man das Wort mit Weib oder Tussi übersetzen.

Nikis Nanas sind monumentale Frauengestalt mit starken Armen, üppigen Gliedmaßen, ausladend weichen und runden Formen. Sie wirken schwerelos. Trotz ihres großen, voluminösen Körpers halten sie mühelos ihr Gleichgewicht, wirken leicht und grazil. 

Niki erkundet die konventionelle Rolle der Frau mit Hilfe der Kunst. Verbildlicht sie und entledigt sich ihrer. Sie führt das Bild der Frau hinaus aus der passiven Rolle und hinein in das einer machtvollen Göttin. Kraftvolle, selbstbewusste Frauenfiguren entstehen, froh, bunt und sinnlich.

Ihre Nanas stellen lebensbejahende Mütter dar oder die mythische Urmutter selbst. Unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben sind sie sich ihrer Sexualität und ihren Bedürfnissen bewusst. Sie verkörpern eine Utopie, die in die Welt hinaus strahlen. Niki sieht sie als Vorboten eines neuen matriarchalischen Zeitalters, von dem sie glaubt, dass es die einzige Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart ist.


Ihr Lebenswerk: Der Tarot Garten

In den 1950er Jahren reiste Niki mit ihrer Familie, Harry und den Kindern Philip und Laura, durch Europa und besuchte in Barcelona den von Antonio Gaudí geschaffenen Park Güell. Der Garten ist für sie eine Offenbarung. Niki war fasziniert von diesem Garten, den Figuren, der Architektur und wie sich diese in die Natur einfügen. Die Mosaiktechnik adaptiert sie später für ihre Arbeiten. In ihr wächst der Traum, selbst einen solchen Park zu entwerfen und zu bauen. Eine Parkanlage mit monumentalen, begehbaren Skulpturen. Der Tarot Garten gilt als Niki de Saint Phalles Lebenswerk und ist in seiner Größe und Ausmaß einzigartig.

Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968, Polyester, bemalt, auf Eisendraht, 220 x 185 x 120 cm, Leopold-Hoesch Museum, Düren / Peter Hirnschläger, Aachen, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris

Die Arbeit an ihrem Tarot Garten in Garavicchio in der südlichen Toskana beginnt 1978, auf einem privaten Grundstück. Niki entwirft den Tarot Garten nach den Motiven der 22 Trumpfkarten des Kartenspiels Tarot, das seit Jahrhunderten für Weissagungen verwendet wird. Jedes Blatt hat eine spirituelle Bedeutung. Und jede Karte wird im Tarot Garten zu einer Skulptur. Die größte Skulptur, Die Herrscherin oder Kaiserin, ist die Repräsentantin der Liebe, des Lebensgenusses und der Leidenschaft. Sie steht aber auch für Wachstum, Lebenskraft, Mütterlichkeit. Diese Skulptur ist begehbar. Während der Bauarbeiten wohnt Niki in dieser Figur. Sie richtete sich in ihr eine Wohnung mit Bad, Küche und Schlafzimmer ein. 

Niki verstand diesen Ort als meditativen Garten, der zum Betrachten einlädt und in seiner Abfolge beim Durchwandern die Geschichte einer Seelenreise erzählt. Auch hier ist es ihr wichtig, dass die Besucher und Besucherinnen Teil des Gartens sind, der Natur und vor allem ihrer Kunst.

 „Das Leben ist wie ein Kartenspiel; wir werden geboren, ohne die Regeln zu kennen, aber jeder von uns muss mit dem Blatt spielen, das er bekommt.“

Niki de Saint Phalle, Jardin des Tarots, 1991, Lithografie, 60 x 80 cm, Ed. 77/150, Musée d'art et d'histoire Fribourg, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris


Die Ausstellung NIKI DE SAINT PHALLE ist vom 03. Februar bis 21. Mai 2023 in der SCHIRN Kunsthalle zu sehen. Das Team aus Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittlern führt dich an folgenden Tagen durch die Ausstellung:

Diens­tags 11 Uhr, Mitt­wochs 20 Uhr, Donners­tags 19 Uhr, Frei­tags 15 Uhr, sowie Sams­tags 15 Uhr, Sonn­tags 12 und 17 Uhr.

Die Ausstel­lung ist in Koope­ra­tion mit dem Kunst­haus Zürich entstanden.


Niki de Saint Phalle, I Am the Nana Dream House, 1969, Druck auf Papier, 15 x 20,3 cm, Musée d'art et d'histoire Fribourg, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris


 
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