ROSEMARIE TROCKEL

Rosemarie Trockel, Gewohnheitstier 2, 1990, Skarstedt Collection, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Axel Schneider

Eine Ikone wird 70

Rosemarie Trockels Arbeiten sind mutig, wehrhaft, oft riskant und meist komisch. Sie selbst meidet die Öffentlichkeit, lässt lieber ihr Werk für sich selbst sprechen. Im November 70 Jahre alt geworden, zählt Rosemarie Trockel zu einer der weltweit bekanntesten Künstlerinnen. Das MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST in Frankfurt widmet ihr eine umfangreiche Einzelausstellung mit Werken aus allen künstlerischen Schaffensphasen, von den 1970er-Jahren bis zu neuen, eigens für das Museum entstandenen Arbeiten.


Frankfurter Engel

Meine Galerietouren starten immer am Frankfurter Engel. Wir treffen uns am Klaus-Mann-Platz, unweit der Zeil, vor dem Eldorado Kino. Der Engel steht als Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten homosexuellen Frauen und Männer. 1994 wurde die Statue als erstes Mahnmal seiner Art in Deutschland der Öffentlichkeit übergeben, gestaltet von der Künstlerin Rosemarie Trockel.

Als Vorlage der Bronzeskulptur diente Trockel eine Engelsfigur, die ursprünglich das Westportal des Kölner Doms zierte. Die Künstlerin fertigt von dieser einen Wachsabguss an, schlägt ihr den Kopf ab und setzt dem Engel den Kopf leicht verschoben wieder auf. Die Bruchstelle bleibt als Narbe sichtbar erhalten.

Rosemarie Trockel rückt mit dieser Figur die Opfer der Verfolgung homosexueller Frauen und Männer in den Vordergrund, welche nicht mit dem Ende des Nationalsozialismus endet. Erst im Jahr 1994 wurde der § 175 StGB ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.


Rosemarie Trockel, Notre-Dame, 2018, Courtesy of Sprüth Magers, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Axel Schneider

Rosemarie Trockel, Spiral Betty, 2010, Privatsammlung, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022


Absurdität normativer Ordnungen

Notre-Dame – eine 2,90 Meter große Haarnadel – lehnt ruhig an der Wand. Gewandt und elegant bändigt sie das Wilde, das Ungestüme und das Aufreizende: Sie ist Befreiungsinstrument wie Waffe zugleich.

Rosemarie Trockel thematisiert die Brutalität und Absurdität normativer Ordnungen in ihrem Werk. Sie macht Einschränkungen, Bevormundung und Gewalt aufgrund von Geschlecht und Rollenbildern durchschaubar. Jedoch nie mit dem erhobenen Zeigefinger. Sie lässt Ambivalenzen zu, arbeitet diese heraus. 

Ihre Arbeiten sind mutig, wehrhaft, oft riskant und meist komisch. Über Humor gelingt uns ein Zugang zu ihrem Werk. Rosemarie Trockel legt sich in ihren Arbeiten nicht auf einen Stil oder Medium fest. Sie nutzt Zeichnungen, Malerei, Fotografie, Skulptur, Installation und Film.

„Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss.“

Im Treppenaufgang des MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST hängt eine Robbe. Aus Bronze gegossenen baumelt sie kopfunter mit den Füßen an einer massiven Kette. Die Robbe trägt ein aus hellem Kunsthaar gefertigtes Band um den Hals. Der Titel der Arbeit ist ein berühmtes Zitat des Schriftstellers Karl Kraus: „Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss“.

Rosemarie Trockel thematisiert in dieser Arbeit das menschliche Begehren in all seinen Facetten. Ein Begehren, das oft nur auf ein Objekt oder den Ausschnitt eines Gesamten gerichtet ist. Sei es ein sexueller Fetisch wie die Vorliebe nach Schuhen. Oder die menschliche Gier nach immer mehr Fleisch, Reichtum, Macht. Das menschliche Begehren nach einem Objekt, das jedoch ohne das Ganze nicht zu bekommen ist.

Rosemarie Trockel nutzt dabei die kopfüber hängende Robbe als Symbolbild. Robben, die für ihr Fell und die Herstellung von Öl gejagt werden. Dabei werden den erschossenen oder erschlagenen, auf dem Land liegenden, schweren Robben die Hinterbeine mit Ketten zusammengebunden und die Tiere anschließend kopfunter über Kräne an Bord gezogen. Der Mensch, der nach Fell und Öl giert, nimt den Tod der Robben in Kauf.

Rosemarie Trockel, Ohne Titel (Es gibt kein unglücklicheres Wesen unter der Sonne als einen Fetischisten der sich nach einem Frauenschuh sehnt und mit einem ganzen Weib vorlieb nehmen muss K.K.:F), 1991, Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022


Rosemarie Trockel, Ausstellungsansicht MUSEUM MMK, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Frank Sperling

Die Ausstellung ROSEMARIE TROCKEL ist vom 10. Dezember 2022 bis 18. Juni 2023 im MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST in der Domstraße 10 in Frankfurt zu sehen. Das Team aus Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittlern führt dich an folgenden Tagen durch die Ausstellung: Mitt­wochs 17 Uhr, Donners­tags 16 Uhr, Sams­tags 15 Uhr, Sonn­tags 12 und 14 Uhr.

Im Rahmen des SaTOURday ist der Eintritt im MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST jeden letzten Samstag im Monat frei. Alle Veranstaltungen findest du über den Link.


Rosemarie Trockel, Ma Fenêtre, 2018, Privatsammlung, © The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022


 
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