IL-JIN ATEM CHOI
Der Künstler Il-Jin Atem Choi vor seiner Arbeit „Successive Approximations“. Foto: Max Isele
VON DER IDEE ZUR LINIE IM RAUM
Anfang 2024 erhielt ich über meinen Blog eine Anfrage einer Innenarchitektin, die für ein Neubauprojekt in Frankfurt eine künstlerischen Gestaltungslösung plante. Gesucht wurde ein Frankfurter Künstler, der oder die eine oder zwei Wände individuell gestalten könnte. „Wir stehen ganz am Anfang – ich würde mich sehr über dein Feedback freuen“, hieß es in der ersten Nachricht.
Was mit einer kurzen E-Mail begann, entwickelte sich zu einem einjährigen Projekt, das ich gemeinsam mit dem Künstler Il-Jin Atem Choi und der Galerie Heike Strelow begleiten durfte. Aus der Idee, ein oder zwei Wände zu gestalten, entstand schließlich ein umfassendes künstlerisches Konzept: Neben mehreren Wandflächen im Eingangsbereich und Erdgeschoss wurden auch beide Treppenhäuser mit einer großen Wandarbeit bespielt – inspiriert vom farblichen Gestaltungskonzept des Bauherrn.
Im Frühjahr 2025 realisierte Il-Jin Atem Choi die Wandarbeiten innerhalb von drei Wochen. Kurz darauf wurde das Gebäude offiziell eingeweiht – und mit ihm eine künstlerische Intervention, die sich wie eine fließende Linie durch den Raum zieht.
SUKZESSIVE ANNÄHERUNG
Gerade, freihändig gezogene Linien verdichten sich zu einer filigranen Struktur, die sich über die gesamte Wandfläche ausbreitet. Wie eine topografische Karte oder ein digitaler Welleneffekt entfalten sie sich organisch, verändern ihre Richtung, drängen sich aneinander oder strömen auseinander. Auf der Wand werden die Linien lebendig – sie erzeugen Bewegung, wachsen in den Raum hinein und verändern dabei subtil ihre Farben: von Braun zu Rot, von Schwarz zu Grün.
Der Künstler Il-Jin Atem Choi entwickelt seine Wandzeichnungen unter dem Titel „Successive Approximations“. Mit einfachen Mitteln – einem Acrylstift und der Linie – erschafft er ein dynamisches Geflecht, das sich die Wand und schließlich den gesamten Raum erobert.
„Ich arbeite gerne mit vermeintlich simplen Ausdrucksformen wie einem Strich oder mit so banalen Mitteln wie einer Schablone“, erklärt Il-Jin. „Aber ich drehe so lange an den Stellschrauben, bis etwas Neues, etwas Merkwürdiges entsteht.“
„Successive Approximations“ Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
DER MEISTER DER FREIEN LINIE
Il-Jin Atem Choi wurde 1981 in Moers geboren. Nach einem Studium der Betriebswirtschaft entschied er sich für die Freie Kunst und studierte an der Städelschule in Frankfurt am Main. 2017 schloss er sein Studium als Meisterschüler von Tobias Rehberger ab. Heute lebt und arbeitet er in Frankfurt am Main und Leipzig.
Er bewegt sich souverän zwischen verschiedenen künstlerischen Disziplinen. Ob Aktionskunst, Zeichnung, Malerei, Objekt- und Installationskunst oder Video – seine Arbeiten sind geprägt von einer Vielfalt an Ausdrucksformen und Materialien. Viele seiner Inspirationen stammen aus der Sub- und Undergroundkultur, was sich sowohl in der Wahl seiner Motive als auch in seiner experimentellen Herangehensweise widerspiegelt. Er bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Graffiti, Konzeptkunst und experimentellen Medien, wobei er sich intensiv mit der Spannung zwischen Innen- und Außenräumen auseinandersetzt.
Il-Jin verweigert sich bewusst einer stilistischen oder inhaltlichen Festlegung. Statt erzählerischer Elemente rückt er die ästhetische und formale Wirkung seiner Werke in den Fokus.
Besonders fasziniert ihn das gestalterische Potenzial der Linie: Er erforscht, wie sie sich zu Mustern und Motiven verdichtet, Bewegung suggeriert oder Räume definiert. Der Titel seiner Werkreihe „Successive Approximations“, der übersetzt Sukzessive Approximation – schrittweise Annäherung – bedeutet, ist dabei eine Technik, die in der Mathematik, Programmierung, auch in der Psychologie eingesetzt wird. Sie ist eine effektive Methode, um komplexe Probleme Schritt für Schritt zu lösen, indem man sich schrittweise einer Lösung annähert.
KLAR DEFINIERTER ANFANG UND ENDE
„Jede einzelne Linie ist eine einzigartige, individuell geformte Einheit mit einem klar definierten Anfang und Ende. Die spezifische Form der Zeichnung entsteht jedoch erst durch das Zusammenspiel dieser Einheiten: durch graduelle Verschiebungen ihrer Abstände und die Überlappung mehrerer Ebenen im Bildraum.“, beschreibt Il-Jin.
„Diese systematische Herangehensweise schafft zugleich Raum für Improvisation, da das endgültige Bild von unvorhersehbaren Markierungen und Linienverläufen geprägt wird. Letztlich könnte diese Arbeit sichtbar machen, dass jede einzelne Einheit in der Verbindung mit anderen einen Mehrwert erzeugt – ein Potenzial, das sich zwar erahnen, aber nicht immer eindeutig benennen oder erfassen lässt.”
Il-Jin Atem Choi wird von der Galerie Heike Strelow in Frankfurt am Main vertreten. Er ist Geschäftsführer und Kurator der galerie intershop, einer unabhängigen Produzierendengalerie auf dem Leipziger Spinnereigelände.
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
Foto: Max Isele
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