ATELIERBESUCH BEI ARTJOM CHEPOVETSKYY

Der Künstler Artjom Chepovetskyy in seinem Frankfurter Atelier, Foto: Artjom Chepovetskyy

EIN BESUCH IN FRANKFURTS ATELIERHAUS

Wer zeitgenössische Kunst in ihrer Entstehung erleben möchte, sollte dem ATELIERFRANKFURT einen Besuch abstatten – einmal im Jahr öffnet das Atelierhaus in der Schwedlerstraße seine Türen zu den Open Studios. Der Verein gehört zu den bedeutendsten Kunstzentren Deutschlands uns das 2004 gegründete Haus im Frankfurter Ostend bietet auf rund 11.000 Quadratmetern über 200 Künstlerinnen und Künstlern und Kreativen Raum für Produktion, Austausch und Präsentation. Es steht für interdisziplinäre Zusammenarbeit, künstlerische Vielfalt und ein lebendiges Netzwerk innerhalb der Region.

Genau hier befindet sich auch Artjom Chepovetskyys Atelier, im fünften Stock. Ein heller, aufgeräumter Raum, an den Wänden hängen drei mittelgroße Gemälde, ein Arbeitstisch steht an der Seite, gegenüber lagern Farbdosen ordentlich im Regal, daneben zeugen Farbspritzer und Reste von intensiver Arbeit.

Ursprünglich in der figurativen Malerei verwurzelt, vollzog Artjom 2018 einen künstlerischen Wendepunkt hin zur Abstraktion. Das klassische Schichten von Farbe auf Leinwand erschien ihm zunehmend unzureichend. Auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten entdeckte er Chiffon – einen leichten, transparenten Stoff, der die herkömmliche Leinwand ersetzt und seinen Bildern eine neue, fast skulpturale Tiefe verleiht. Mit diesem Material öffnet er seine Malerei in den Raum – hinein in eine dritte Dimension.


SCHWEBENDE FORMEN – MALEREI ZWISCHEN STOFF, LICHT UND RAUM

Artjom Chepovetskyys Gemälde sind ein feinsinniges Spiel aus Tiefe, Transparenz und Materialität. Auf den ersten Blick wirken sie leicht und durchscheinend – doch hinter den zarten Oberflächen entfalten sich komplexe Bildräume. Chiffon, Holzrahmen und kaschiertes Papier bilden die Grundstruktur seiner Werke, in denen Formen scheinbar schwerelos über die Fläche schweben und zugleich in tiefere Schichten eintauchen.

Die Transparenz des Materials ist dabei kein Nebeneffekt, sondern zentraler Bestandteil der Komposition: Durch das Gewebe hindurch schimmern Träger, Rahmen und Papier – sie werden sichtbar und zu aktiven Mitspielern in der visuellen Erzählung. Die Motive entstehen sowohl auf der Vorder- als auch auf der Rückseite des Stoffs, wodurch eine doppelte Lesbarkeit entsteht. Abstrakte Formen flirren in kräftigem Pink, Grün oder Gelb – oder ziehen sich leise in Blau- und Grautönen zurück.

Artjom schöpft seine Inspiration aus der urbanen Umgebung – Muster und Formen, die an architektonische Strukturen erinnern, ziehen sich durch seine Arbeiten. Sie tauchen hinter dem feinen Stoff auf, mal deutlich sichtbar, mal nur angedeutet. So entstehen Werke an der Schnittstelle zwischen Abstraktion und Architektur, die in der Schwebe halten, was sichtbar ist – und was verborgen bleibt.


ZWISCHEN LICHT UND STOFF

Artjom Chepovetskyy arbeitet bewusst mit Stoffen wie Chiffon oder Organza, mit hauchdünnen Papierschichten und farblichen Überlagerungen, die Licht, Raum und Tiefe in die Malerei integrieren. Seine Bilder entstehen nicht durch das bloße Auftragen von Farbe, sondern durch das präzise Austarieren mehrerer Ebenen. Was zunächst als zarte Oberfläche erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein komplexes Geflecht aus Schichten, Übergängen und Lücken – als Raum im Gemälde. Diese Stofflichkeit bleibt spürbar, auch wenn sie nicht greifbar ist. Artjom trägt die Farbe nicht einfach auf, sondern bringt sie unter dem Gewebe selbst zum Leuchten.


Artjom Chepovetskyy, 02(04)25, 2025, Mischtechnik auf Chiffon, 140 x 120 cm, Foto: Galerie Heike Strelow

Artjom Chepovetskyy, 01(04)25, 2025, Mischtechnik auf Chiffon, 140 x 120 cm, Foto: Galerie Heike Strelow


ZWISCHEN FLÄCHE UND RAUM

In weiteren Werkgruppe widmet sich Artjom Chepovetskyy sich dem Medium Papier. Doch auch hier bleibt die Fläche nicht flach. In experimentellen Druckverfahren bearbeitet, werden die Blätter gefaltet, geknickt, vernäht und aufgebrochen. Sie lösen sich aus ihrem rechteckigen Korsett und betreten den Raum – als fragile Reliefs, als plastisch aufgeladene Bildträger. Artjoms Arbeiten aus Keramik changieren zwischen Fläche und Volumen, Bild und Objekt. Frei an die Wand montiert, wirken sie wie tastende Bewegungen – zurückhaltend und zugleich entschieden. Die Spannung zwischen Materialität und Form bleibt stets spürbar: Das Papier und auch die Keramik zeigen sich verletzlich, aber auch eigensinnig und widerständig.

Wie schon in seinen Arbeiten auf Chiffon verfolgt er auch hier eine Strategie der minimalen Eingriffe: Es sind kleine Verschiebungen, die große Wirkung entfalten. Subtile Irritationen, die unsere Wahrnehmung aus dem Gleichgewicht bringen.

Was all diese Werkgruppen miteinander verbindet, ist eine wiederkehrende Frage: Wie wird Malerei zu Raum? Wie kann Material Bedeutung erzeugen – nicht durch das, was es zeigt, sondern durch das, was es ist? Artjoms Antwort bleibt offen, tastend, durchlässig. Er weigert sich, klare Formen festzuschreiben – und genau darin liegt die Kraft seiner Arbeiten. Was bleibt, ist Bewegung: zwischen Medien, zwischen Zuständen, zwischen dem Sichtbaren und dem kaum noch Greifbaren.


Artjom Chepovetskyy, S.A.1(03)25, 2025, Mischtechnik (Kaltkeramik), 130 x 100 x 5 cm, Foto: Galerie Heike Strelow

Artjom Chepovetskyy, S.A.(04)25, 2025, Mischtechnik (Kaltkeramik), 30 x 18 x 11 cm, Foto: Galerie Heike Strelow


„ICH MALE IN MEINEM KOPF“

Für Artjom ist der Prozess des Malens ebenso bedeutend wie das fertige Werk selbst. Seine künstlerische Praxis ist von stetiger Selbstreflexion geprägt. Er hinterfragt und dekonstruiert seine eigene Arbeit immer wieder aufs Neue, um Raum für Entwicklung zu schaffen. Dabei vergleicht er diesen Prozess mit einem Glas Wasser, das erst geleert werden muss, bevor es erneut gefüllt werden kann – ein sinnbildliches Loslassen des Alten, um das Neue willkommen zu heißen.

Malerei beschreibt er als ein fortwährendes Sammeln und Sortieren von Werkzeugen: gestalterische Mittel, Techniken, Ideen. Manche bewahrt er, andere verwirft er. Seine metaphorische Werkzeugkiste ist noch lange nicht voll – vielmehr befindet sie sich in einem ständigen Wandel. Besonders im vergangenen Jahr hat sich dieser Kasten nochmals erweitert, als Artjom seine künstlerische Sprache weiter geschärft und neue Ansätze hinzugefügt hat.

„Ich male in meinem Kopf“, sagt er – eine Aussage, die seinen reflektierten Umgang mit der eigenen Praxis verdeutlicht. Die leere Fläche – in seinem Fall ein transparenter Chiffon – wird zum Möglichkeitsraum, zum Ort der Entscheidung und des Neuanfangs. Geboren in Odessa, kam Artjom mit 18 Jahren nach Deutschland. Der Neuanfang ist für ihn daher kein Bruch, sondern ein vertrautes Moment des Wandels und der Selbsterfindung.

Seine Werke entziehen sich dem rein Fotografischen: Ihre Wirkung im Raum, ihr changierendes Spiel mit Licht, Transparenz und Tiefe, lässt sich digital kaum erfassen. Man muss sie erleben.

Seit 2019 wird Artjom Chepovetskyy von der Frankfurter Galerie Heike Strelow vertreten.


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Artjom Chepovetskyys Studio im ATELIERFRANKFURT

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Die Aussenfassade des Atelierhauses

Die Aussenfassade des Atelierhauses

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“Kantine” im ATELIERFRANKFURT

“Kantine” im ATELIERFRANKFURT

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